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Knastbrüder – Teil 4: Der erste Tag in Haft (

Knastbrüder - Teil 4: Der erste Tag in Haft (



Mirko wurde von einem metallischen Geräusch aus dem Schlaf gerissen. Es war der Riegel der Klappe, die in Gesichtshöhe der Zellentür eingelassen war.

“Guten Morgen!” schallte es durch die quadratische Öffnung, dann ging das Licht an. Es kam ihm heller vor als am Vortag. Auf jeden Fall zu hell. Daher kniff er die Augen wieder zusammen.

“Hey, Herr Schölmond.”. “Was’n” fragte Mirko. “Heben Sie einfach die Hand, dann weiß ich, dass Sie noch unter uns weilen. Aber dann bitte zügig waschen und anziehen”. Dann wurde die Klappe mit einem Knall geschlossen, der Mirko in den Ohren dröhnte, gefolgt von dem Geräusch des Riegels, der sie daran hindern sollte, aus ihrer Zelle in den Gang sehen zu können.

Mirko beschloss, mit gutem Beispiel voran zu gehen und den Friedenspakt, den sie am Vorabend geschlossen hatten, mit Leben zu erfüllen.

Also stand er als erster auf, putzte sich die Zähne, kämmte sich seine blonden, mittellangen Haare und spritzte sich etwas kaltes Wasser ins Gesicht. Dann ging er zur Tür und drückte auf den Summer. Ein leiser Gong ertönte und ein rotes Lämpchen leuchtete über der Klingel auf.

Die Lautstärke des Gongs reichte aber aus, um Orug den Kopf heben zu lassen. “Was machst Du da?” fragte er mit leicher, kratzender Stimme, noch im Halbschlaf. “Ich wollte” fing Mirko an, da öffnete sich schon die Klappe in der Tür und ein Aufseher sah ihn fragend an.

“Ich wär’ dann soweit zum Duschen” sagte Mirko selbstbewusst, fasst in militärisch gehorsamen Ton.

“Jetzt hören Sie mir mal zu, junger Mann. Das hier ist kein Hotel, in dem man den Portier wegen jedem Scheiß herbeiruft. Fragen Sie künftig Ihren Spannmann, bevor Sie uns rufen. Der hätte Ihnen nämlich gesagt, dass Sie zwei mal die Woche Duschen dürfen. Der Zeitpunkt wird nicht von Ihnen, sondern von uns festgelegt. Montags und Donnerstags nach dem Hofgang. Ausnahmen gibt es nur für Häftlinge im Arbeitsdienst und nach genehmigter, sportlicher Betätigung. Habe ich mich klar ausgedrückt?”. Offenbar ein Morgenmuffel. “Nicht ganz.” erwiederte Mirko und schaute in die genervten Augen des Beamten. “Was ist ein Spannmann?”. Der Beamte schlug die Klappe zu und verriegelte sie.

Orug, der mittlerweile auf der Bettkante saß, verkniff sich augenscheinlich ein Lachen. “Du bist schon ein wenig, naiv, was? Spannmann ist Dein Zellengenosse, also ich.”.

“Gibt es noch irgendwelche Begrifflichkeiten, die ich kennen sollte?” fragte Mirko. “Jede Menge. Alles zu seiner Zeit. Jemanden wie Dich nennen wir hier Picco”. “Jemanden wie mich?”. “Ja, nen Neuen eben”. Mirko war erleichtert. Er dachte zuerst er meinte einen jungen, untergewichtigen Hänfling, der zur sexuellen Belustigung auf Zellenparties diente.

“Sag’ mal, Orug, wie ist das hier eigentlich wirklich. Ich meine, mit Vergewaltigungen und so. Du weißt schon: Die Seife nicht fallen lassen und das alles.”. Orug grinste. ”Nicht so schlimm, wie es draußen dargestellt wird. Wenn jemand darauf steht, Jungs zu stopfen, wird er das selten ohne Deine Einwilligung tun.”. Mirko atmete auf.

“Da Du etwas naiv zu sein scheinst, werde ich den Begriff ‘Einwilligung’ für Dich etwas präzisieren”. Jetzt merkte Mirko wieder diesen Klos im Hals.

“Hier im Knast läuft viel über Gefälligkeiten. Manchmal kommt man nicht herum, jemanden um einen Gefallen zu bitten. Naja und der wird dann eben seine Bedingungen stellen”. Mirko verstand, was Orug ihm damit sagen wollte aber dieser fand es wohl angemessen, es doch noch weiter auszuführen. “Hey, ich weiß ja nicht, wie das bei Euch so läuft, aber ich würde an Deiner Stelle diese Art von ‘Gegenleistung’ nicht all zu oft anbieten. Ich meine, ja: Du siehst süß aus und hier wird es ne Menge Typen geben, die Dich beim Hofgang mit ihren Blicken ausziehen werden. Aber glaub’ mir: Du willst hier nicht den Ruf einer Knast-Nutte haben. Irgendwann nehmen sie sich dann nämlich tatsächlich, was sie wollen, ohne Dich zu fragen.”.

Mirko nickte verlegen und war auch etwas beschämt, dass ihm Orug so etwas offenbar zutraute. “Ach und noch was: Ich will vorher gefragt werden, wenn Dich jemand benutzen möchte”.

Mirko schaute Orug irritiert an. “Wie bitte?”. “Naja, Du gehörst erst mal mir. Verstanden? Ich will wissen, wann Du mit wem Sex hast. Wenn ich einwillige könnt Ihr rumsauen”. “Bist Du gerade im Arschloch-Modus?” wollte Mirko wissen.

Orug stand auf und stellte sich erneut vor ihn. “Zieh Dein Hemd aus!” wies er ihn an. “Warum?”. “Tu es!”. Mirko zögerte, zog dann aber langsam sein Oberteil aus. Dann entledigte sich Orug seines. Sie standen sich jetzt mit freiem Oberkörper gegenüber. Orug hatte gut definierte Brüste, die sich vom Körper wölbten. Darunter war ein ausgeprägtes Six-Pack, dessen Furchen bestimmt 2 Zentimeter tief waren. Die Seiten seines Oberkörpers waren gerade. Kein Gramm Fett war zu sehen. Dann bewegte sich Mirkos Blick zu den Oberarmen seines Spannmanns. Diese waren ebenfalls extrem stark ausgeprägt, passten aber zum Gesamtbild. Nichts war übertrieben, der Körper von Orug war durch und durch ästhetisch. Und muskulös.

Mirko schaute an sich herab und sah ebenfalls eine definierte Brust, allerdings viel flacher und weißer als die von Orug. Selbiges galt für seine Bauchmuskeln. Sie waren gut sichtbar aber eben flach. Gegenüber Orug war er ein Hänfling.

Orug zeigte aus seine Brust und befahl “Anfassen!”. Zuerst zögerte Mirko, dann berührte er mit seinem Zeigefinger Orug’s Brust. Er fuhr mit dem Finger leicht über sie. Dann nahm er seine ganze Hand, drückte leicht zu und bewegte seine Hand in kreisenden Bewegungen. Mirko schluckte, was ihm nicht leicht fiel, der Klos war immer noch da, und stellte fest, dass sich die Haut über der Brust von Orug kaum bewegte. Das waren tatsächlich Muskeln aus Stahl.

“Hier im Knast gilt eine Regel: Der Stärkere hat das Sagen!”. Mirko nickte eingeschüchtert.

“Und? Was glaubst Du, wer von uns beiden der Stärkere ist?”. Mirko sagte leise “Du.”

Heiter und wie ausgewechselt sagte Orug “Na also. Dann hätten wir das ja geklärt.” und zog sich wieder sein T-Shirt über. Auch Mirko zog seines wieder an.

Das Frühstück verlief, wie schon das Abendessen, still. Mirko überlegte, ob es etwas kluges gab, das er hätte tun können, um doch noch seinen “Mann” zu stehen. Doch ihm fiel nichts ein. Er musste sich eingestehen, dass im Gefängnis offenbar die alt hergebrachten Regeln von Männlichkeit noch galten. Der mit dem längeren Schwanz hatte das Sagen. Mirko überlegte kurz, ob er diesen Aspekt noch ins Feld führen und Orug zum Schwanzvergleich herausfordern sollte, entschied sich aber vorerst dagegen.

Der Vormittag in der Zelle war mit einem Wort treffend zusammen gefasst: Langweilig.

Beim Mittagessen unterhielten sie sich zumindest über Kleinigkeiten. Die Spannung vom morgen war verflogen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit erklang ein lauter Gong. Orug sagte ihm, dass nun Hofgang sei und Beide zogen sich eine Jacke an.

Mirkos Blick fiel auf die drei Kondome, die noch immer im Schrank lagen. Er überlegte kurz und steckte sie in seine Hosentasche ohne genau zu wissen, warum.

Als die Zellentür aufging und sie heraus geholt wurden, wunderte sich Mirko etwas über die lockere Stimmung. Er hatte vermutet, dass sie an Händen und Füßen gefesselt würden und so zum Hof gebracht. Aber alle aus dem Gang versammelten sich vor der Gittertür, die den Zellentrakt vom Treppenhaus abtrennte und als dieses geöffnet wurde, gingen sie langsam und geordnet jeweils bis zur nächsten verschlossenen Tür. Als das Gitter hinter ihnen zugeschlossen wurde, öffnete sich die Nächste. Irgendwann standen Sie dann tatsächlich im Hof.

Hätte er auf Wikipedia den Begriff “Gefängnishof” gesucht, wäre vermutlich ein Bild eben jenes tristen Hofes gezeigt worden, der sich ihm gerade darbot. Es war ein Rundgang mit einer Länge von vielleicht 500 Metern. In der Mitte war ein Rasen gepflanzt, der einen Baum umgab. Am Rand des Weges standen vereinzelt Bänke, die aber schnell besetzt waren. Der Blick geradeaus zeigte die Gefängnismauer, die von Stacheldraht verziert war.

Orug gesellte sich schnell zu Anderen, die wohl die gleiche Herkunft wie er hatten. Ethnische Gruppierungen, wie er sie aus dem Fernsehen kannte, gab es augenscheinlich Keine. Die Meisten schlenderten langsam den Weg entlang und unterhielten sich.

Mirko beschloss, sich zu Orug zu stellen. Vielleicht würde er ihn seinen Freunden vorstellen und er hätte zumindest ein paar neue Leute kennen gelernt. Er wollte es zufällig aussehen lassen, also lief auch er langsam den Weg entlang, bis er bei seinem Zellengenossen und dessen Freunden ankam, die sich an die Betonmauer gelehnt hatten. Noch bevor Mirko etwas sagen oder zumindest ein Nicken in Richtung von Orug absetzen konnte, sah’ er, wie Orug mit dem Finger auf ihn zeigte, etwas sagte und die Anderen anfingen, zu lachen.

Als er näher kam rief ihm Orug zu “Und, Picco? Schon jemanden zum Vögeln gefunden?”. Das hatte er nicht wirklich getan, sagte sich Mirko. Er hatte nicht seinen coolen Freunden erzählt, dass er schwul war. Aber dies war ein Männergefängnis und eine Bemerkung wie diese war eindeutig. Die Freunde von Orug krümmten sich vor Lachen. Das war zu viel. Orug musste seine Grenzen aufgezeigt bekommen. Und zwar jetzt.

Mirko schlenderte, als ob ihn diese Bemerkung kalt lassen würde, zu Orug, der ihn erstaunt ansah. Dann griff er in seine Hosentasche, zog eines der Kondome heraus und warf es zu Orug, der es reflexartig auffing.

“Nö, irgendwie nicht. Kannst das Kondom wieder haben. Danke aber dafür.”.

Schlagartig waren Orug’s Freund still und sahen ihren Kumpel entsetzt an. “Wofür brauchst Du Kondome, man? Hier gibt’s nur Männer!” fragte ein Kleingewachsener, der an der Mauer gelehnt und den rechten Fuß angewinkelt an diese stemmte.

Orug sah’ Mirko mit finsterer Miene an und dieser stellte sich schon darauf ein, wieder Prügel zu beziehen, wenn sie wieder in ihrer Zelle waren.

Offenbar hatte sein türkischer Spannmann keine spontane Antwort auf diese peinliche Situation, denn er fing auf einmal an zu stottern “Ich, ich… Leute, das ist doch klar, dass der Euch gerade verarscht…”. Dann lachte er gekünzelt.

Es war die Art, wie er auf diese Situation reagierte, die seine Kumpanen ihn ungläubig anschauen ließen. Er wirkte in der Tat wie jemand, der gerade bei etwas ertappt wurde, das ihm höchst unangenehm war.

So beschloß Mirko, einfach weiter zu gehen und alles weitere auf sich zu kommen zu lassen.

Er atmete beim Gehen tief ein. Es kam ihm tatsächlich so vor, als wäre die Luft in der Zelle gefiltert und nicht so rein und kalt, wie sie hier war. Die Stunde Hofgang verging im Nu.

Wieder zurück in der Zelle ging Orug vom einen zum anderen Ende hin und her und hielt Mirko, der auf seiner Bettkante saß und die Beine herunterbaumeln lies, eine Standpauke.

Eigentlich hatte er erwartet, dass er bereits zu diesem Zeipunkt mit einer blutigen Nase und schmerzverzerrtem Gesicht in Fötus-Stellung auf dem Boden liegen würde. Aber Orug hatte offenbar mehr mit sich selber zu tun.

Diese Gedanken hinderten ihn daran, Orugs Ausführungen aufmerksam zu zuhören. So kamen nur Fragmente seiner Ansprache zu Mirko durch “…unglaublich… …was die jetzt von mir denken… …ich fasse es nicht… …wie können die nur ernsthaft glauben, dass…”.

Mirko befürchtete, dass Orug kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand und fragte sich kurz, ob es falsch war, was er getan hatte. Nein. Falsch war es nicht. Er hatte Orug klar gemacht, dass dieser sich zwar arschig benehmen könne, er sich aber wehren würde.

“Du wirst meinen Kumpels morgen erklären, dass Du sie verarscht hast! Kapiert? Du wirst ihnen klar machen, dass das alles nur ein Spaß von Dir war!”. Mirko sah Orug cool und regungslos an. “Wenn Du ihnen klar machst, dass ich nicht der bin, für den sie mich gerade halten!”.

Als Orug wieder von einem Ende der Zelle zum Anderen lief erkannte Mirko, wie dieser seine Alternativen abwägte. Offenbar hatten seine Freunde wirklich angenommen, dass das Kondom von Orug war, was schlichtweg heißen musste, das Orug im Knast mit anderen Männern Sex hatte, was ihn widerum für seine Kumpels, im besten Fall, zum Außenseiter machte. Orug tat ihm fast schon ein bisschen leid.

Viel später am Abend, das Abendessen war bereits rum, lag Mirko wieder mit offenen Augen im Bett. Es war noch nicht Schlafenszeit und Orug saß am Tisch und dachte nach, da durchbrach Orug mit schüchterner Stimme die Stille. “Sag’ mal Picco, was ist eigentlich so toll da dran, Schwul zu sein?”.

Mirko musste grinsen und sah erneut die Schatten des Fenstergitters an der Decke…

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